Weihnachten also. Das Fest der Liebe. Is klar.
Was genau wird eigentlich gefeiert? Ach ja, Gottes Sohn, Geburt, Geschenk von Daddy an uns und ein paar Kapitel später versauen wir’s dann. So weit so gut.

Kommen wir zurück auf zwei Aspekte der Geschichte. Gott und (Nächsten-)Liebe.
Generell geht man ja davon aus, dass jetzt ganz viele Gebete gen Himmel geschickt werden, wegen Weltfrieden und ähnlichem Käse, aber man soll ja nicht immer so verallgemeinern. Denn ein nicht unbeträchtlicher Teil der Gebete, die im weihnachtlichen Glaubenstaumel abgeschickt werden, dürfte inhaltlich eher ein Kontrastprogramm darstellen. Es geht um Eigennutz auf Kosten anderer, um den eigenen Sieg und die Niederlage der Gegner bzw. Feinde – es geht um all das, was Weihnachten nicht ist, für das viele sehr Gläubige jetzt beten.

The War Prayer von Mark Twain behandelt ein solches Gebet. Geschrieben unter dem Einfluss einer Mobilmachung in den USA und aus Angst zu Lebzeiten nicht veröffentlicht, ist es eine schonungslose Abrechnung mit kriegsgeilen Irren, die ihre Religion für solche Zweck entfremden. Eben genau das Pack, dass auch heute noch als Politiker sein Unwesen treibt und uns vorzuschreiben versucht, was gut für uns ist.

Ich habe die Geschichte hier in zwei Darreichungsformen:
Zuerst die Videofassung für alle Lesefaulen unter euch, allerdings auf Englisch.
Danach folgt der Text auf Deutsch.

Frohe Weihnachten!

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The War Prayer ist ein Kurzfilm von Markos Kounalakis.

Und hier der Text auf Deutsch:
Es war eine große und aufregende Zeit. Das ganze Land stand unter Waffen. Der Krieg ging los. In jeder Brust brannte das heilige Feuer des Patriotismus. Die Trommeln schlugen, die Musik spielte, die Spielpistolen knallten, die Knallkörper zischten. In jeder Hand, auf jedem Dach und auf jedem Balkon flatterten Fahnen und Wimpel in der Sonne. Jeden Tag sah man die jungen Freiwilligen die breiten Straßen hinunter marschieren, froh und stolz in ihren neuen Uniformen. Die stolzen Väter und Mütter und Schwestern und Freundinnen winkten begeistert und schrien sich heiser, als sie vorübermarschierten. Jeden Abend gab es Massenversammlungen in voll gepackten Sälen und patriotische Ansprachen, welche die tiefsten Tiefen der Herzen bewegten, und in jeder kleinsten Pause ertönte brausender Beifall, während die Tränen von den Wangen strömten. In den Kirchen predigten die Pfarrer von der Hingabe zur Fahne und zur Heimat, und man beschwor den Gott des Kampfes und flehte ihn an mit gewaltigen Worten, welche die Herzen der Zuhörer bewegten.
Tatsächlich, es war eine frohe und gnädige Zeit. Das halbe Dutzend Leute, die wagten, den Krieg zu verurteilen und die Gerechtigkeit des Krieges auch nur im geringsten anzuzweifeln, wurden mit wütenden Warnungen bedacht, so dass sie um ihre persönliche Sicherheit besorgt sein und deshalb so schnell wie möglich von der Bildfläche verschwinden mussten und sich nicht mehr sehen lassen konnten.
Es kam der Sonntagmorgen – am nächsten Tag würden die Bataillone zur Front einrücken. Die Kirche war rappelvoll. Die Freiwilligen waren da. Ihre Gesichter leuchteten voller Erwartung -Visionen vom Sammeln, vom Vorwärtsstürmen mit blitzenden Säbeln, von fliehenden Feinden, von Tumult und Rauch, der sie umgeben würde, von wilder Jagd, und dann: die Kapitulation! Dann die Heimkehr vom Krieg, gebräunte Helden, stürmisch begrüßt, angebetet, eingetaucht in das goldene Meer der Ehre und des Ruhmes. Alle würden sich um die Freiwilligen scharen: ihre geliebten Familien, stolz, glücklich und beneidet von Nachbarn und Freunden, die keine Söhne und Brüder hatten, um sie auf das Feld der Ehre zu schicken, dort die Fahne zu erobern oder aber den ehrenhaftesten Tod zu sterben. Der Gottesdienst ging weiter. Ein kriegerisches Kapitel aus dem Alten Testament wurde gelesen; das erste Gebet wurde gesprochen. Die Orgel brauste und brachte das Gebäude zum Erzittern, und wie ein Mann erhob sich das ganze Haus mit glühenden Augen und klopfenden Herzen und sammelte sich zu einer gewaltigen Anrufung: „Furchtbarer, alles erschreckender Gott! Du der Gebieter, Donner ist Dein Ruf und Blitz Dein Schwert.“
Dann kam das „lange“ Gebet. Niemand konnte sich je solch einer leidenschaftlichen Bitte mit solcher Bewegung und so hoher Sprache erinnern. Es flehte darum, dass der erbarmende Gott, unser aller gütiger Vater über uns und unsere stattlichen jungen Soldaten wachen möge. Er helfe, ermutige und tröste sie bei ihrer patriotischen Arbeit. Er segne und halte sie in seiner mächtigen Hand. Er mache sie stark, zuversichtlich und unbesiegbar in dem blutigen Einsatz. Er helfe ihnen, den Feind zu vernichten; Er gebe ihnen, ihrer Fahne und ihrer Heimat unvergängliche Ehre und Ruhm.
Ein alter fremder Mann trat ein und bewegte sich langsamen Schrittes leise durch den Mittelgang auf den Pfarrer zu, die Augen fest auf ihn gerichtet. Sein hoher aufrechter Körper war in einen Mantel gekleidet, der fast bis zu den Füßen reichte. Sein Haupt war unbedeckt, seine weißen Haare fielen lose bis auf seine Schultern. Er war unnatürlich bleich, fast geisterhaft anzusehen. Alle Augen folgten ihm und staunten, wie er in Stille seinem Ziel entgegenging. Ohne eine Pause zu machen stieg er hinauf zu dem Prediger und stellte sich an seine Seite. Dort stand er und wartete.
Mit geschlossenen Augen, ungeachtet der Gegenwart des anderen, fuhr dieser fort mit seinem bewegenden Gebet und schloss es endlich mit den aufrufenden Worten: „Segne unsere Waffen, gib uns den Sieg, Herr Gott, unser Vater und Beschützer unseres Landes und unserer Fahne!“
Der Fremde berührte seinen Arm; mit einer Handbewegung deutete er ihm, Platz zu machen – was der erschrockene Pfarrer tat -, dann trat er an seinen Platz. Für einige Augenblicke blickte er mit feierlichem Ausdruck in den Augen, in denen ein unheimliches Licht brannte, über die gebannte Zuhörerschaft hinweg und sagte mit tiefer Stimme:“Ich komme vom Thron und bringe eine Botschaft des allmächtigen Gottes!“

Die Worte erfüllten das Haus mit Schrecken. Der Fremde schien es nicht zu spüren, wenigstens ließ er sich nichts anmerken.

„Er hat das Gebet seines Dieners, Eures Hirten gehört und wird es Euch gewähren, so Ihr es noch weiter erwünschen solltet, nachdem ich, sein Bote, seine volle Bedeutung erklärt habe, seine ganze volle Bedeutung. Denn es gleicht vielen menschlichen Gebeten, die viel mehr erbitten, als dem Betenden bewusst ist – es sei denn, dass er innehält und nachdenkt.
Euer Gottesdiener hat sein Gebet gebetet. Hat er eine Pause gemacht um nachzudenken? Ist es ein Gebet? Nein, es sind zwei – eines ausgesprochen, das andere nicht. Beide haben die Ohren dessen erreicht, der alle Bitten hört, die ausgesprochenen und die unausgesprochenen. Bedenkt es, haltet es fest in Euren Gedanken. So Ihr einen Segen für Euch erbittet, so hütet Euch, ob Ihr nicht, ohne es Euch zu vergegenwärtigen, gleichzeitig um einen Fluch über Euren Nachbarn bittet. Bittet Ihr um den Segen des Regens für Eure Ernte, die ihn sicher braucht, könntet Ihr damit einen Fluch über die Ernte Eures Nachbarn erbitten, der ihn nicht braucht und dessen Ernte durch den Regen zerstört wird.
Ihr habt das Gebet Eures Dieners gehört, den gesprochenen Teil. Ich bin von Gott beauftragt worden, den anderen Teil in Worte zu fassen – den Teil, den der Pfarrer und ihr stille in Euren brennenden Herzen gebetet habt. Unwissend und unbedacht? Wolle Gott, es wäre so! Ihr hörtet diese Worte: „Gib uns den Sieg, o Herr unser Gott.‘ Das genügt. Das ganze gesprochene Gebet ist zusammengefasst in diese unheilschwangeren Worte. Weitere Ausführungen sind nicht nötig. Habt Ihr um Sieg gebetet, so habt Ihr um viele unausgesprochene Folgen gebetet, die dem Sieg folgen, ja folgen müssen. Es geht anders nicht. Der hörende Geist Gottes des Vaters hört auch den ungesprochenen Teil des Gebets. Er hat mir befohlen, diesen Teil in Worte zu fassen. Hört!

Herr, unser Vater, unsere jungen Patrioten, Idole unserer Herzen, ziehen hinaus in die Schlacht. Sei ihnen nahe! Im Geiste ziehen wir mit ihnen hinaus, weg vom lieblichen Frieden unserer Herdfeuer, um den Feind zu zerschlagen. O Herr unser Gott, hilf uns, den Feind mit unseren Granaten in blutige Fetzen zu schlagen; hilf uns, ihre lachenden Felder mit den bleichen Gesichtern ihrer toten Helden zu bedecken. Hilf uns, den Donner der Geschütze mit den Schreien ihrer Verwundeten zu übertönen, die sich in Schmerzen krümmen. Hilf uns, ihre bescheidenen Heime im Feuersturm zu zerstören. Hilf uns, die Herzen ihrer Witwen mit nie dagewesenem Leid zu bedrücken. Hilf uns, die Obdachlosen mit ihren kleinen Kindern von der Türe zu weisen, die in ihrem vernichteten Land zerlumpt und hungrig und durstig umherwandern, der Sonne Feuer im Sommer und den eisigen Winden im Winter ausgesetzt; zerschlagenen Geistes, von Trauer verzehrt, dich anflehend um Zuflucht im Grab. Aber auch das ist ihnen versagt um unsertwillen, die dich loben und ehren. Herr, zerschmettere ihre Hoffnungen und ihr Leben, verlängere ihre bittere Pilgerschaft, mach ihre Schritte schwer und begieße ihre Wege mit Tränen, beflecke den weißen Schnee mit dem Blut ihrer wunden Füße! Wir bitten Dich im Geist der Liebe; Dich, die Quelle der Liebe; Dich den immer getreuen Freund aller, die Dich suchen mit demütigen und zerknirschten Herzen. Amen.“

Und nach einer Pause sagte der Fremde:

„Ihr habt darum gebetet, wünscht ihr es dennoch, so sprecht! Der Bote des Höchsten wartet.“

Später wurde behauptet, dass dieser Mann irrsinnig war, weil das, was er sagte, sinnlos sei.

en.wikipedia.org/wiki/The_War_Prayer_(story)
http://thewarprayer.com
kuettner-privat.de/kriegsgebet.html

Herausgefordert von blogsurdum und mlohmann.

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2 Kommentare

  1. wie, was, wo – ich habe einen krieg angezettelt und wusste davon gar nichts und muss davon bei rivva erfahren?

    muss ich das jetzt wieder toppen oder können wir es einfach so stehen lassen und duellieren uns zu ostern wieder?

  2. Ach Quatsch. Hab nur bei euren Artikeln gedacht, dass es doch eigentlich die perfekte Gelegenheit ist, mal den schon lange auf Halde liegenden Artikel über die Story auszupacken. Fand einfach, dass die Sache auch wunderbar zu Weihnachten passt – bei all der Heuchelei, die momentan wieder exzessiv praktiziert wird.
    Ein Duell liegt mir fern. Obwohl – wenn wir dadurch öfters auf der Rivva-Startseite landen… ;-)

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